Unter dem Slogan “I feel Slovenia” vermarktet sich das kleine Land auf ziemlich moderne und ansprechende Art und Weise. Der erfolgreichste Staat des ehemaligen Jugoslawien investiert viel in neue Unternehmen und Technologien, gilt als einer der besten europäischen Handelspartner Deutschlands und erzielt Jahr für Jahr neue Rekorde in der Tourismusbranche. Viele unserer Anlaufpunkte haben wir über den, optimal auf Touristen abgestimmten, Internetauftritt gefunden… so auch einen Ort mit dem Namen Velika Planina. Was nichts anderes bedeutet als Großalm, ist eine Bergsiedlung am Rande der Alpen. Schon von weiten hören wir die Kuhglocken und fühlen uns ein bisschen wie Heidi und der Geissenpeter beim Almöhi. Die größte Hirtensiedlung Europas mit ihren 140 Hütten und den typischen Dachschindeln aus Fichtenholz lädt wirklich zum Verweilen ein… und das sagen wir, obwohl wir nicht die großen Bergsteiger und High-End-Wanderer sind! Die Bauern verkaufen ihren frischen Käse und den traditionellen Schinken. Während unsere neue Freundin Luca neidisch hinter uns steht, schlagen wir beim besten Bauern der Alm ordentlich zu 🙂

Was in slowenischen Reiseführern eher stiefmütterlich behandelt wird, gehört für uns definitiv zu den Highlights des Landes. Während der Fahrt mit der Bergbahn nach oben, realisieren wir das erste Mal seit langem, dass Corona noch immer, oder wohl eher wieder, ein Thema ist – Mundschutz ist Pflicht.

Auf über 1.600 Metern tauchen wir ein in andere Welt – keine Hektik, kein Stress, keine Straßen, keine Menschenmassen, einfach nichts, was an ein Leben in der Zivilisation erinnert. Auf der Hochebene findet die traditionelle Kultur der Almhirten noch viel Platz. Jedes Jahr im Juni werden die Kühe auf die Alm getrieben. In den warmen Monaten leben die Hirten in den typischen Hütten auf der Alm.

Obwohl eine Wiese mit ein paar Kühen und Holzhütten im Grunde nichts besonderes zu sein scheint, ist es das trotzdem auf eine gewisse Art und Weise. Die Ruhe und das ursprüngliche Leben hier oben sind wundervoll anzusehen und haben uns komplett überrascht.

Ein weitere wunderschöne Überraschung, eigentlich entstanden aus einer Verzweiflungs-Buchung, da sich sonst nichts in der Nähe befand, war dieses kleine Paradies für die kommende Nacht. Ein Ort, an welchem von A-Z alles perfekt und mit so viel Liebe zum Detail gestaltet war. Renata, die Besitzerin des Campingplatzes, ist einer dieser Menschen, welche man durch ihre Art, Ausstrahlung und Lebensfreude einfach von der ersten Minute an ins Herz schließt. Eine kleine, zierliche Frau mit rot gefärbten, kurzen Haaren, welche aus spürbarer Leidenschaft den ganzen Tag damit beschäftigt ist, ihre Gäste glücklich zu machen. Wir dürfen uns an ihrem Kirschbaum satt essen und ihr Gemüsebeet plündern. Wir können sie jederzeit anrufen und das Wichtigste… wir sollen uns einfach nur wohlfühlen und diesen tollen Ort genießen. Und das tun wir ausgiebig, denn wir sind (in Zeiten von Corona) die einzigen Camper hier.

Dass das auf jeden Fall wieder einer dieser Orte für ein ausgiebiges, mehrstündiges Bummel-Frühstück ist, brauchen wir nicht lange erklären… Einfach nur sitzen und die Zeit, in einer Umgebung wie dieser, bei dem schönsten Wetter zusammen genießen. 

Manche Augenblicke im Leben möchten wir einfach einfangen, damit wir sie immer und immer wieder erleben können.

Am frühen Nachmittag machen wir uns auf den Weg zu einem weiteren Tipp unseres virtuellen Hinweisgebers. Beworben wird unser nächstes Ziel mit den Worten: “Der Baumwipfelpfad Pohorje auf Rogla zeigt Ihnen, was die Vögel sehen. Steigen Sie auf den mächtigen Turm und gehen Sie einen 1000 m langen Weg zwischen Bäumen.” Und das tun wir auch… nur leider ist hier nicht mehr viel vom mangelnden Tourismus zu spüren. Was einerseits gut für das Geschäft ist, lässt die Baumwipfel eher wie einen großen Kinderspielplatz mit viel Geschrei und Getöse wirken. Scheinbar ist es DAS Ausflugsziel der Slowenen. Gut genährte Kinder (leider müssen wir das hier so aussprechen, da es auffällig viele speckige kleine, laute Monster gibt) rennen kreuz und quer und freuen sich über die Rutsche in der Mitte des Aussichtsturms. Also wenn das die Perspektive ist, welche „die Vögel sehen“, dann bleiben wir lieber am Boden…

Doch das wirklich letzte und wohl auch abenteuerlichste Highlight dieser großartigen Woche in Slowenien wartet am Abend noch auf uns. Da wir uns von den verschiedensten Werbeslogan, wie schon erwähnt, komplett einwickeln lassen und leichte “Opfer” 🙂 sind, lassen wir uns auch recht schnell hiervon überzeugen: “Hier wird die Nacht zum Erlebnis: Frei nach dem Motto „Weniger ist mehr!“ bieten wir Dir mit diesem Schlafplatz größtmögliche Nähe zur Natur. Inmitten von Wiesen und Wäldern erwartet Dich Dein Bett… aufgehängt unter einem Walnuss-, Birken- oder Eichenbaum. (…) Genieße die Ruhe fernab von Autolärm und großen Siedlungen. Dein Schlafplatz bietet freie Sicht auf die sanften Hügel Zentralsloweniens. Mit etwas Glück kannst Du Tiere entdecken, wie etwa Hirsche oder Siebenschläfer… Vogelgesang holt Dich am Morgen aus Deinen Träumen. Dein Frühstück wartet verpackt in einem Korb, den Du an einem Seil befestigt nach oben ziehen kannst.” Na also, wenn sich das nicht extrem verlockend und nach unvergesslichem Abenteuer anhört – gelesen und gebucht! Wir tauschen also unseren Rudi für eine Nacht gegen ein Bett im Baum. 

Jeder hat ja bestimmte Vorstellungen, bevor man etwas Neues ausprobiert… man ist gespannt, freut sich und die Gedanken kreisen… Wie wird es aussehen, wie fühlt es sich an oder wie werden wir uns fühlen? Da diese Nacht preislich einer sehr guten Hotelübernachtung in Nichts nachsteht, war zumindest eine von uns der Annahme (und diesmal sogar die Realistin!), dass wir in einem kleinen Häuschen nett empfangen werden, uns erklärt wird wie alles funktioniert, wir unsere Sachen irgendwo abstellen können, es irgendeine Art von anständigen Sanitäranlagen gibt und man sich gut aufgehoben fühlt. Doch die Spanne von Vorstellung und Realität klaffte hier zunächst einmal so weit auseinander, dass sie fast zerbrach! In Wirklichkeit stellte sich das Ganze nämlich so dar: Die “Empfangshalle” war eine kleine Bretterbude im Wald, welche eigentlich der Aufbewahrung der kompletten Utensilien eines Abenteuer-Kletterwaldes diente, in welchem wir aktuell stehen, da unser Navi uns genau zu diesem Punkt führte. Wir fragten erst einmal vorsichtig nach, ob wir richtig sind für die Übernachtung im Baum. Die genervte Angestellte griff ohne jegliche Antwort zum Telefon, rief ihren Kollegen an und nuschelte uns im Anschluss zu, dass wir ein paar Minuten warten sollen. Auf die Frage, wo wir unser Auto parken können (immerhin haben wir unser komplettes Hab und Gut darin – und wir stehen aktuell auf einem Feld) entgegnete sie uns mit fragenden Blicken und zeigte noch tiefer in den Kletterwald. Wir sind uns nicht sicher, ob wir den Rudi in die Baumkrone hängen sollten… Na gut, der erste erwartete Wohlfühl-Moment zog soeben, ohne erfüllt zu werden, an uns vorbei. Aber vielleicht wird es ja die Liebe auf den zweiten Blick. Jetzt lag jegliche Hoffnung auf dem Kollegen, welcher nach etwa zehn Minuten zu uns kam. Er war der erste Mensch nach ungefähr drei Monaten, welcher uns zur Begrüßung die Hand reichte… sehr ungewöhnlich aber freundlich, dachten wir. Während er sich kurz mit dem Namen Milos vorstellte und anfing, irgendwelche Sicherungsgurte zu sortieren, schauten wir uns fragend, in der luftigsten Sommerkleidung und Flipflops, in die Augen und schmunzelten. Sein zweiter Satz, nach seinem Namen war, dass er uns ein paar Dinge erklären müsse, unter anderem diesen Gurt. In dem Moment hatten wir beide dieses Ding schon durch die Beine gefädelt und um die Hüften geschnallt… und wer schon einmal klettern war, weiß wie angenehm es sich mit kurzen Hosen tragen lässt 🙂 Bis dahin wussten wir noch immer nicht, wozu das alles? Müssen wir erst den Kletterwald bezwingen oder uns von Ast zu Ast schwingen um in unser Bett zu kommen? Letztendlich erklärte Miloš uns, dass es sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme handelt… mit dem Gurt können (alles KANN, nichts MUSS) wir uns nachts im Bett anhängen, da es wohl doch schon vorgekommen ist, dass die Nachtruhe des ein oder anderen durch einen unsanften Fall beendet wurde. Nachdem wir für all das unterschrieben haben… also im Grunde ist jegliche Art von Unfall allein unsere Schuld, hierunter fällt auch das Trinken von Alkohol auf eigene Gefahr und der Angriff durch Bären… führte Miloš uns zum Nachtlager. Vielleicht kommt ja jetzt die nette Dame in der Empfangshalle mit dem Begrüßungsgetränk…??? Aber die ursprüngliche Vorstellung fing schnell wieder an zu bröckeln. Unser Weg führte raus aus dem Abenteuerspielplatz, über mehrere Wiesen bis ganz hoch zum Waldesrand. Die Umgebung war wunderschön, unser Bett hing fernab von allem… in der letzten, versteckten Ecke an einer alten Eiche mit einem unglaublichen Blick ins Tal.

Über einen kurzen Tipp bezüglich unserer Kleiderwahl wären wir allerdings echt dankbar gewesen – Flipflops im wurzeldurchzogenen Wald und kurze Hosen auf Wiesen mit kniehohem Gras, wo die Zecken schon die Zähne fletschen, ist jetzt wirklich nicht das Optimalste. Zugegebenermaßen dauerte es ein paar Minuten um die ursprüngliche Vorstellung in unseren Köpfen durch die Realität zu ersetzen. Aber als dies geschehen war, lachten wir laut und fanden die ganze „Aktion“ wieder so typisch für uns und umso schöner. Lange Hosen und Turnschuhe halfen über den ersten Angriff sämtlicher Saug- und Stechtiere hinweg. Unsere erste Challenge bestand darin, ein Lagerfeuer zu machen. Auch wenn unser Milos wahrscheinlich nicht daran geglaubt hat, aber das haben wir tatsächlich ganz gut hinbekommen… selbst Holz sammeln und im Wald überleben – check! Randnotiz: mit Feuerzeug und Grillanzünder 🙂

Achso… ein kleines Detail vielleicht noch zur (winzig kleinen) Lücke zwischen Vorstellung und Realität. Es gibt hier draußen weder ein Haus, noch einen Ort für unsere Sachen UND auch keine Toilette, kein Wasser…nix! Es gibt nur uns, den Baum und das hängende Bett 🙂 Wir haben unsere ursprünglichen Gedanken komplett begraben und werden die kommenden Stunden einfach nur Natur erleben, spüren, fühlen und hören. Zum Glück haben wir ähnliche Situationen auf anderen Reisen schon erlebt und wissen damit umzugehen. Milos brachte uns lediglich noch eine gut gekühlte Flasche Wein (mehr braucht es ja im Grunde für einen perfekten Abend auch nicht) und das Abendessen: Hirschgulasch – die Variante mit Fleisch und Buchweizenbrei mit Waldpilzen – die vegetarische Version, was beides wirklich sehr lecker war – vorbei, bevor er sich endgültig verabschiedete und uns grinsend eine spannende Nacht wünschte.

Gegen 23Uhr krabbelten wir in unser Baumbett, zumindest versuchten wir das. Sollten die Tiere um uns herum schon oder noch geschlafen haben, waren jetzt definitiv alle wieder wach. Uns liefen die Tränen vor Lachen. Die Instabilität der Leiter, zusammen mit dem Geschaukel des Bettes machten das ganze Unterfangen wirklich nicht einfach. Die Kunst bestand besonders darin, zusammen das Gleichgewicht zu halten, während eine bereits oben war und die andere versuchte nachzukommen 🙂 Letztendlich lagen wir nach zwei bis drei Anläufen beide ganz ohne Gurte dort wo wir hin wollten… und das die ganze Nacht, ohne zu kentern… schwebend über der Erde. Inmitten einer surrealen Geräuschkulisse – wir haben keine Ahnung was da alles um uns herum geklettert ist, welcher Waschbär Schnupfen und welcher Vogel Spaß daran hatte, über uns zu pickern und den Dreck fallen zu lassen – schliefen wir den Umständen entsprechend gut. Aber darum geht es auch nicht… es ist völlig egal, ob wir gut schlafen oder nicht… Es ist das Erlebnis an sich, so etwas machen wir nicht Alletage und das macht es wirklich unvergessen und besonders.

Wer den Wert glücklicher Augenblicke zu schätzen weiß, sammelt Schätze fürs Leben.

Ernst Ferstl

Am nächsten Morgen schauten wir uns einfach nur glücklich und zufrieden an. Keiner von uns wird diese Nacht wohl je vergessen!

Während wir noch schliefen, wurde uns ein Frühstückskorb bereit gestellt. So liebevoll durften wir in den letzten Morgen in Slowenien starten. Wir werden dieses tolle Land in bester Erinnerung behalten.