Mit dem Nachtbus… nein falsch… mit dem „Hotelbus“, wie es in der Buchung wunderbar, fast gemütlich anmutend, beschrieben wurde, knapp 500 Kilometer durch das halbe Land in Richtung Süden zum Strand. Geplante Fahrtzeit: 11 Stunden – wir wären aber schließlich nicht in Südostasien, hätte diese Reise keine Überraschung für uns parat! Denn auf unserer Tour (die wir übrigens nur buchten, um im Bus, in Anbetracht der Fahrtzeit, einigermaßen waagerecht liegen und schlafen zu können) durften wir nach ziemlich genau fünf Stunden das Gefährt wechseln und saßen wieder genauso aufrecht wie in jedem anderen Bus! Die Transportwege und -mittel der Asiaten sind eben immer wieder unergründlich… Und wir sind mittlerweile wirklich beide an dem Punkt (nach gut 3 Monaten 150 % Südostasien), an welchem wir DAS definitiv nicht vermissen werden! Aber zumindest vertragen die Kambodschaner, im Gegensatz zu den Birmesen, das Busfahren… sodass uns diese Geräuschkulisse hier weitestgehend erspart bleibt!

Aus den veranschlagten 11 Stunden wurden erwartungsgemäß mehr, nämlich gute 13, was uns nach dieser Zeit allerdings kaum noch tangiert. Schließlich ist der Weg das Ziel 🙂 Und während dieser für südostasiatische Verhältnisse echt moderat war, entpuppte sich die Destination als wahrer Alptraum! Geschockt, traurig, wütend und furchtbar enttäuscht… das alles in ziemlich intensiver Mischung empfanden wir bei unserer Ankunft in Sihanoukville, der fünftgrößten Stadt des Landes. Mit rund 90.000 Einwohnern galt das Städtchen am Golf von Thailand inklusive der vorgelagerten Inseln einst als echter Geheimtipp. Doch Sihanoukville ist zum Inbegriff einer rasanten, völlig unkoodinierten, stillosen Entwicklung geworden… die gnadenlose chinesische Bauwut ist unaufhaltsam und überrollt den kompletten Ort. Genau hier, genau an dieser Stelle, hat Kambodscha seine Seele verkauft!

Wir wohnten in einer kleinen, italienisch – kambodschanisch geführten Bungalow-Anlage (also ehrlich gesagt waren es genau drei Bungalows, wodurch das Wort „Anlage“ etwas hochgegriffen ist) außerhalb der Stadt, in Otres Beach… eine kleine Oase inmitten des auch hier bereits angekommenen Baubooms chinesischer Investoren. Der Reiseführer bereitete uns bereits gut auf das Backpacker-Paradies vor, dennoch ahnten wir nicht im Entferntesten, in welcher Hippie-Kommune wir hier landeten! Dreadlocks, Hanfhosen, Komm-ich-heute-nicht-komme-ich-vielleicht-Morgen-oder-gar-nicht-Einstellung, Love und Peace an jeder Ecke, alle haben sich furchtbar lieb und schauen mitunter durch eine kleine Cannabis-Brille 🙂

Uns war durchaus bewusst, dass Kambodscha ein sehr beliebtes und typisches Backpacker-Ziel ist… aber das sind Thailand oder Vietnam auch… und dennoch ist es nicht einmal annähernd vergleichbar. Uns fehlten richtiggehend die Worte zwischen all‘ den schrägen, hängen gebliebenen Aussteigern. Nie zuvor haben wir das so extrem wahrgenommen wie hier. Da wir tolerant sind (und über Dinge hinweg sehen, welche wir eh nicht ändern können – Lektion Nummer 1 auf Reisen!), akzeptieren wir das natürlich… was bleibt uns auch übrig! Aber ist es nicht verrückt, dass die Atmosphäre an diesem Ort so extrem ist, dass wir uns fast unwohl fühlen! Und das Schlimmste daran ist doch, dass es durch Menschen ausgelöst wird, welche sich hier festsetzen und scheinbar absolut nichts mit der Identität dieses wunderschönen Landes verbindet! …oder kam Bob Marley etwa aus Kambodscha…? 🙂

So verkürzten wir unsere Zeit auf dem Festland, blieben nur eine Nacht und flohen auf eine der Inseln, Koh Rong Sanloem. Die Anzahl des oben beschriebenen Typs Mensch wurde nicht wirklich weniger… aber dafür gab es keine Großbaustellen und die Insel bot genug Platz für Alle.

Auf Koh Rong Sanloem gibt es (noch) keine Hotels… es gibt keine geteerten Straßen, keine Autos und keine Geldautomaten. Noch herrscht hier Frieden im Paradies und das genießen wir auch! 

Eine kleine einstündige Trekkingtour durch den Dschungel führt uns zur anderen Seite der Insel zur sogenannten „Clear Water Bay“. Eine völlig unberührte Bucht, nur über diesen Weg oder per Boot erreichbar. Sand, wie er weicher und feiner nicht sein kann… Kennt ihr diesen Sand, der eine Art angenehmes Quietschgeräusch macht, wenn man auf ihm läuft? Oft wird das auch als „singen“ bezeichnet und entsteht durch ausgesprochen kleine, speziell geformte Sandkörner… ein wirklich wunderbares Gefühl unter den Füßen, welches es nicht an allzu vielen Stränden gibt.

„Quietschender Sand (engl. squeaky sand) ist ein geologisches Phänomen… Sand kann unter gewissen Bedingungen beim Begehen unter den Füßen quietschen… Bedingung sind ein durchlässiger nichtbindiger Untergrund, eine bestimmte Art von Quarzsand ohne Kalkanteil sowie eine bestimmte Korngröße (etwa 150–500 Mikrometer). Der Sand muss in einer nach Korngrößen geschichteten, sogenannten gestörten Lage (hervorgerufen meist durch Wind) liegen, einen bestimmten Feuchtigkeitsgehalt aufweisen und zu einer glatten und abgerundeten Oberfläche verwittert bzw. abgeschliffen sein. Das Quietschen des Sandes entsteht durch mechanische Beanspruchung, also den beim Darüberlaufen eingetragenen Druck und die dadurch hervorgerufene Reibung zwischen den Körnern.“ (Quelle: Wikipedia)

Doch Schneisen der Verwüstung lassen vermuten, dass auch hier ganz bald nichts mehr so ist wie jetzt. Die Chinesen investieren in die Insel, gefolgt vom ersten Bagger, welcher das Eiland erreicht hat. Die jetzigen Besitzer der kleinen Hostels und Bungalows sprechen mit gespaltener Zunge. Einerseits hören wir Sätze wie: „Das ist der Anfang vom Ende!“ und andererseits Aussagen wie: “Doch dieses Land braucht finanzielle Unterstützung! Keiner hat sich bisher für Kambodscha interessiert und jetzt tun es die Chinesen! Vielleicht sollten wir auch dankbar sein! Es ändert sich endlich was!“

Ja, wahrscheinlich muss man die Entwicklung tatsächlich aus beiden Perspektiven sehen und hoffen, dass das alles irgendwie im Gleichgewicht bleibt… Wir sind dennoch froh, die Insel in diesem „Ur“- Zustand erleben zu dürfen.

Vom Meer an den Fluß… die nächste Etappe steht an… mit dem Ziel: Kampot. Beschrieben wird dieser Ort als gemütliches Städtchen mit zahlreichen, gut erhaltenen Bauten aus der französischen Kolonialzeit. Wir suchten uns ein kleines Hotel am Rande der Stadt – wie ihr ja schon wisst, können wir Menschen nicht leiden 🙂 und suchen uns oft sehr kleine, abgelegene Unterkünfte, wenn wir die letzten vier Monate einmal rückblickend betrachten, haben wir fast immer in Hotels oder kleinen Appartements geschlafen… wir können uns einfach nicht unter dem Deckmantel des „Backpackers“ verstecken… so gesehen lässt uns lediglich der Rucksack auf den Schultern wie einer aussehen… in Wirklichkeit haben wir wohl nichts gemeinsam… UND WIR STEHEN DAZU! Hostels, Gemeinschaftsbäder, Menschen kennenlernen und ständiger Smalltalk ist leider überhaupt nichts für uns. Unsere Zeit auf Reisen ist endlich und das leben wir auch!

Das ist übrigens eine Unterkunft der Kategorie TRAUMHAFT SCHÖN! Und außerhalb des Zentrums hieß in dem Falle eine 20-minütige TukTuk-Fahrt über einen Acker, welcher irgendwann, in vielen Jahren mal eine Straße werden will. Zu Schade für die eigentlich schöne Stadt Kampot, denn wir verließen dieses wunderschöne Fleckchen Erde nur für ein paar Stunden… und das ist nach fast vier Monaten on Tour völlig normal! Irgendwann kommst du an einen Punkt, an welchem du einfach dieses Gefühl, etwas verpassen zu können, nicht mehr hast! Hier zählt einfach nur der Moment…

Schweren Herzens verlassen wir dieses Paradies um die letzten Tage im Großstadtdschungel der Hauptstadt Phnom Penh zu verbringen. Wir sitzen mit 15 weiteren Leuten in einem Bus für 10 Personen (was die Bequemlichkeit schon erahnen lässt), lauschen dem Zischen beim Öffnen der Bierdosen und atmen den Staub und Smog der völlig überfüllten Straßen während sich englische und deutsche Backpacker ihren nächsten Joint drehen. Genervt von der Gesamtsituation und von zu viel „alternativ“ bewundern wir immer wieder die Geduld der Kambodschaner. Im Grunde ist dieses Volk nach wie vor in der Position, das zu tun, was andere sagen. Sind es nicht die Touristen, so ist es der chinesische Investor oder der vietnamesische Vorgesetzte. Der typische Kambodschaner ist zurückhaltend, freundlich, ehrlich und sehr bescheiden. Um das Land, die Menschen und die Kultur besser verstehen zu können, befassen wir uns mit dem dunkelsten Teil der Geschichte. Es ist gerade einmal 40 Jahre her, dass in Kambodscha einer der grausamsten Völkermorde sein Ende fand. Unter dem Regime Pol Pots fanden fast 3 Millionen Menschen den Tod… Die „perfekte Revolution“ sollte es werden. Die Menschen wurden verfolgt, vertrieben, gefoltert, gequält, ermordet und bestialisch hingerichtet… und das durch die eigenen Landsmänner, größtenteils sogar durch Kinder, welche in Zeiten des Terrors zu hörigen Soldaten gemacht wurden… einige noch keine 11 Jahre alt! Mit dem krankhaften Gedanken, einen kommunistischen Agrarstaat zu errichten, wurden innerhalb kürzester Zeit Tausende Menschen ermordet und Millionen Menschen aus den Städten vertrieben und zur Landwirtschaft gezwungen. Pol Pot erklärte das Geld als wertlos und setzte absolute Willkür an dessen Stelle. Als sicheres Todesurteil galten zu jener Zeit unter anderem Intelligenz, ein angesehener Beruf, eine eigene Meinung, weiche Hände, saubere Kleidung und eine Brille… Jeder vierte Kambodschaner verlor zwischen 1975 und 1979 sein Leben!!! Während des Besuchs des ehemaligen Folgergefängnisses Tuol Sleng verschlug es uns die Sprache. 

 

Nur wenige wussten, was sich zu jener Zeit hinter den Mauern abspielte. Fadenscheinige Vorwürfe des Staatsverrats oder sonstige Belanglosigkeiten führten hier täglich zu den grausamsten Foltermethoden bis hin zum Tode. Wie die Tiere wurden die Gefangenen hier aneinander gekettet und eingesperrt.

Überlebte man die Folter, wurde man nachts mit verbundenen Augen mittels eines LKWs auf die Felder, außerhalb der Stadt gefahren. In dem Glauben, man bekomme ein neues zu Hause, machte sich Hoffnung breit. Doch in Wirklichkeit waren diese Orte nichts anderes als riesige Hinrichtungsstätten und tragen heute den Namen „Killing Fields“. Die Tötungsmethoden der Roten Khmer erinnern an ein bestialisches Massaker. Da der Einsatz von Schusswaffen aufgrund des Munitionsverbrauchs zu teuer war, wurde jeder vorstellbare harte Gegenstand benutzt, um Millionen von Leben zu beenden.

Eines der ausgehobenen Massengräber

Eigentlich möchten wir gar nicht weiter darauf eingehen… die Erzählungen der Stimme des Audioguides an einem Ort, welcher so viel Grausames gesehen hat, verursacht richtige Gänsehaut. Es kommt uns ein Besucher entgegen, welcher seine Tränen nicht mehr halten kann, als er auf den großen Baum mit dem Schild „Killing Tree against which executioners beat children“ zugeht. Das Leben hunderter Kleinkinder wurde an diesem Baum, im wahrsten Sinne des Wortes, zerschmettert! Kaltblütiger kann Völkermord tatsächlich nicht sein!

„Auch heute noch sind viele Massengräber nicht ausgehoben und die Toten nicht angemessen bestattet… Immer noch spült der Regen Kleidungsfetzen und Knochen aus dem Boden der Killing Fields, alle paar Monate werden sie eingesammelt. Manche Gebeine werden öffentlich ausgestellt.“  (Quelle: Spiegel Online)

Rund um diesen See befinden sich auch heute noch „unberührte“ Massengräber

An solchen Tagen sind wir wirklich „satt“, ziehen uns zurück und halten uns vor Augen, in welcher behüteten Heimat wir leben dürfen! Doch das Volk hier blickt nach vorn und hat diese Zeit ein Stück weit hinter sich gelassen. Vielleicht ist es diese grausame Vergangenheit, welche das Land, aber vor allem die Menschen auf eine ganz spezielle Art und Weise besonders macht. Wir sind froh und glücklich darüber, dass wir den Sprung „zurück“ gemacht haben und all‘ das noch sehen und erleben durften! Die letzten Tage genießen wir in unserem kleinen, wunderschönen Appartement im Herzen Phnom Penhs.

Von einer Stadt, welche der Moderne mit aller Macht (und viel chinesischem Geld) hinterher jagt, geht es für uns nun weiter in eines der reichsten und modernsten Länder der Welt… Wir freuen uns auf SINGAPUR!